veröffentlicht in: möbel kultur (Print)
August 2019
Bloggen als Vollzeitjob
Über 100.000 Internet-User lesen ihren Interior-Blog „170QM“, mehr als 100.000 folgen ihr bei Instagram und fast 150.000 pinnen ihre Pins bei Pinterest – Anne Dirfard ist gut im Geschäft. Mittelpunkt ihrer bisherigen Arbeit war die 170 qm große Altbau-Wohnung in Hamburg, jetzt geht es in den Taunus. Die „möbel kultur“ besuchte die Interior-Bloggerin zuhause und sprach mit ihr über ihre Karriere, den Umzug, Kooperationen mit Big Playern aus dem Möbel-Business und wie sie den Handel wahrnimmt.
möbel kultur: Frau Dirfard, eigentlich sind Sie Online-Grafikerin. Wie kommt es, dass Sie jetzt als Interior-Bloggerin arbeiten?
Anne Dirfard: Ursprünglich wollte ich nach der Schule Innenarchitektur studieren, doch die Studiengänge waren damals komplett überlaufen. Deshalb habe mich in Köln für Medienproduktion eingeschrieben und dann ein Praxissemester in einer Hamburger Werbeagentur absolviert. Dort war ich auch nach dem Abschluss etwa zehn Jahre beschäftigt, bis ich nach meinem zweiten Kind gemerkt habe, dass die Motivation nachlässt. Die Werbung ist heute einfach nicht mehr das, was Sie früher mal war. Also habe ich darüber nachgedacht, wie ich den Sprung in das Interior-Business doch noch schaffen kann. Dazu brauchte ich definitiv eine Mappe mit Arbeitsproben! Als digitale Grafikerin fand ich ein pdf mit Bildern aber blöd. Stattdessen hatte ich eine bessere Idee: Drei Monate vorher waren wir hier eingezogen und ich beschloss, den Prozess, wie ich diese Altbau-Wohnung renoviere und einrichte, peu à peu mit Fotos auf Instagram zu dokumentieren. Das Profil wollte ich als digitale Mappe für zukünftige Bewerbungsgespräche nutzen, aber dann kam alles anders …
möbel kultur: Ihre Bilder haben den Instagram-Usern gefallen?
Anne Dirfard: Ja, ich merkte, dass sich die Leute dafür interessieren, was ich mache. Aus meiner Berufserfahrung heraus wusste ich auch worauf es bei den sozialen Medien ankommt und habe dafür gesorgt, dass ich täglich präsent bin. Mit der Zeit bekam ich immer mehr Nachrichten von Leuten, die mir auf Instagram gefolgt sind und gefragt haben, ob ich sie beim Einrichten ihrer eigenen Wohnung unterstützen kann.
möbel kultur: Also genau das, was Sie immer machen wollten.
Anne Dirfard: Genau. So kam ich auf den Einrichtungszweig, ohne dass ich eine zweite Ausbildung machen musste.
möbel kultur: Und wann kam der Blog ins Spiel?
Anne Dirfard: Kurze Zeit später meldeten sich die Eimsbüttler Nachrichten, die Bezirkszeitung hier in unserer Nachbarschaft, und wollte einen Bericht über mich veröffentlichen. Dann rief jemand von RTL an. Es ging um einen Beitrag für Punkt 12 zu dem Thema, wie man seinen Wohnraum mit kleinem Budget verändern kann. Es ergaben sich also so viele Möglichkeiten aus meinem Erfolg bei Instagram, dass ich gemerkt habe, dass das für mich ein wahnsinnig gutes Sprungbrett ist. Den Blog brauchte ich als Verlängerung. Also habe ich mich den Sommer über hingesetzt, das Layout und das Logo entworfen, Beiträge vorproduziert und bin damit im Herbst 2017 online gegangen. Das lief so gut, dass ich mein Nebengewerbe schon im November als Hauptgewerbe anmelden konnte.
möbel kultur: Das hört sich nach viel Arbeit an.
Anne Dirfard: Ja, man muss erstmal in den sauren Apfel beißen, das Bloggen auch als Selbstständigkeit begreifen und viel Zeit und Aufwand investieren. Mein Beruf kam mir gerade bei der Gestaltung des Blogs natürlich wieder zugute und ich wusste, sollte sich doch alles anders entwickeln, kann ich immer wieder in die Werbung zurück.
möbel kultur: Was waren denn Ihre ersten Einnahmequellen?
Anne Dirfard: Einerseits waren das Kooperationen mit Unternehmen aus dem Interior-Business und, andererseits, war das die Einrichtungsberatung. Die läuft dieses Jahr auch wieder sehr gut. Vergangenes Jahr hatte das etwas nachgelassen.
möbel kultur: Und was war Ihre erste Kooperation?
Anne Dirfard: Oh, das war ein klassischer Barter Deal mit der Online-Plattform Etsy. Mir wurde ein 50-Euro-Gutschein zugeschickt. Dafür sollte ich mir ein Produkt aussuchen und darüber schreiben. Naja, ich glaube, jeder Blogger tritt erstmal in so ein Fettnäpfchen.
möbel kultur: Wie meinen Sie das?
Anne Dirfard: Ganz einfach. Wenn man sich mit dem Blogger-Dasein genauer beschäftigt und einen Businessplan schreibt usw., dann wird schnell klar: Oh, ich muss das ja alles versteuern! Das heißt, dieser 50-Euro-Gutschein war kein 50-Euro-Gutschein, sondern ich durfte 30 Prozent aus eigener Tasche bezahlen.
möbel kultur: Ärgerlich …
Anne Dirfard: Total! Und woher soll man das als Anfänger wissen? Ich habe dann beim Finanzamt angerufen und die wussten das selber nicht. Dann habe ich meinen Steuerberater angerufen und der konnte mir auch nicht helfen! Dann habe ich einen anderen Steuerberater kontaktiert und der kannte jemanden, der es wusste. Die Gesetzgebung steckt da einfach noch in den Kinderschuhen.
möbel kultur: Das hat Sie aber nicht abgeschreckt!
Anne Dirfard: Nein, natürlich nicht. Aber seitdem ich das Hauptgewerbe im November 2017 angemeldet habe, war für mich klar, es gibt keine unbezahlten Kooperationen mehr. Zunächst tat ich mich damit schwer und bis heute habe ich ein Problem damit, meinen Job wirklich als Job anzusehen und nach außen zu verteidigen, was ich mache.
möbel kultur: Da steckt ja auch mehr Arbeit drin, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Anne Dirfard: Richtig. Ich arbeite sogar mehr, als wenn ich jetzt als Online-Grafikerin in die Werbung zurückgehen würde – und das ist schon ein heißes Pflaster! Als Bloggerin bin ich gleichzeitig Fotografin, Interior Stylistin, Grafikerin und Texterin. Dann kommt die ganze Nacharbeit dazu, wenn ich gepostet habe. Ich muss auf Kommentare reagieren, Fragen bantworten, mit den Followern in Kontakt bleiben und meine Community stärken. Der Job hat einfach so viele Facetten.
möbel kultur: Wie sieht das mit den Kooperationen aus? Das muss ja auch organisiert werden.
Anne Dirfard: Das stimmt. Vor jedem Post bin ich erstmal Projektmangerin, weil ich mich mit Kunden und Agenturen abstimmen und verhandeln muss. Da geht es auch um meine Zielgruppe. Ich denke, dass meine Follower in einer ähnlichen Lebenssituation sind wie ich – im Job angekommen, die eigene Familie ist schon da oder wird gerade geplant. Die Studentenzeit ist vorbei und man geht weg von den typischen Ikea-Möbeln. Stattdessen darf es ruhig etwas individueller aussehen.
möbel kultur: Wie würden Sie Ihren Einrichtungsstil beschreiben?
Anne Dirfard: Ein gesunder Mix aus modern und alt, skandinavisch angehaucht.
möbel kultur: Da müssen die Produkte aus den Kooperationen dann auch reinpassen.
Anne Dirfard: Genau. Es macht für mich keinen Sinn, Kooperationen mit Herstellern einzugehen, wenn meine Zielgruppe die Produkte entweder nicht braucht oder sich gar nicht leisten kann. Das wirkt einfach nicht echt. Und Authentizität spielt im Blogger-Business eine ganz wichtige Rolle. Deshalb sind wir für Unternehmen so wertvoll, weil wir echte Menschen sind.
möbel kultur: Wie eng lassen Sie Ihre Follower denn an ihrem Leben teilhaben?
Anne Dirfard: Also ich teile schon viel. Mein Mann arbeitet seit einiger Zeit in Frankfurt und ist unter der Woche nicht zuhause. Das ist für uns nicht leicht, weil ich alles alleine regeln muss. Deshalb kann es auch sein, dass meine Follower einige Tage nichts von mir hören und ich möchte, dass sie wissen warum das so ist.
möbel kultur: Aber das wird sich ändern …
Anne Dirfard: Richtig. Wir ziehen in den Taunus und haben dort ein 170 qm großes Haus aus den 60er Jahren angemietet.
möbel kultur: Zufall oder Absicht?
Anne Dirfard: Zufall! (lacht)
möbel kultur: Wie wirkt sich der Umzug denn auf Ihre Arbeit aus?
Anne Dirfard: Einige Kooperationen habe ich nach hinten geschoben. Dazu gehört beispielsweise ein Farbhersteller, denn es hätte jetzt keinen Sinn mehr gemacht, hier in der Wohnung zu streichen. Und ich hoffe, dass ich – wenn wir so nah an der Messe Frankfurt wohnen – wieder mehr Messen besuchen kann. Wegen der Kinder und ohne Mann zuhause war das in den vergangenen Monaten nur eingeschränkt möglich.
möbel kultur: Nutzen Sie Messen zur Inspiration?
Anne Dirfard: Da ich ohnehin gefühlt den ganzen Tag auf Instagram unterwegs bin, schaue ich dort (oder auf Pinterest) nach Einrichtungsideen, die mir gefallen und mache einen Screenshot. Wenn ich auf Messen unterwegs bin, wie beispielsweise jetzt im Januar auf der „imm cologne“, dann schaue ich lieber, wo der Trend hingeht und informiere mich, welche Farben und Materialien demnächst angesagt sind. Dieses Wissen nutze ich bei meinen Kooperationen.
möbel kultur: Wie stehen Sie zu traditionellen Einrichtungshäusern? Verbringen Sie dort viel Zeit oder finden sogar Inspiration?
Anne Dirfard: Meiner Meinung nach hat Ikea mit dem City Store hier in Hamburg-Altona den richtigen Schritt gemacht. Wenn ich zu Höffner, Kibek oder Schulenburg fahre, ist das ein ganzer Tagesausflug und ich habe momentan kein Auto. Sowas kommt für mich also selten in Frage.
möbel kultur: Dann haben Sie zum Möbelhandel gar keine Beziehung?
Anne Dirfard: Doch! Ich spüre häufig den Reiz, gerade bei diesen Unternehmen mal zu gucken und ihnen den Staub von den Schultern zu klopfen, denn Höffner, Kibek & Co. können meistens mehr als man denkt. Ich glaube, das hat Otto bei mir ausgelöst. Meine Mutter hat früher immer den Katalog gelesen, aber einrichtungstechnisch hatte ich Otto nie auf dem Schirm … bis zu unserer ersten Kooperation! Da war ich sehr positiv überrascht und denke, dass das Unternehmen in der zielgruppengerechten Ansprache – auch mithilfe von Influencer Marketing – auf dem richtigen Weg ist.
möbel kultur: Da hinkt der traditionelle Möbelhandel noch etwas hinterher, oder?
Anne Dirfard: Das stimmt, aber die können ihr Sortiment auch nicht von heute auf morgen umkrämpeln und nur noch auf die Generation 18 bis 35 Jahre ausrichten. Das wäre auch falsch, denn die Zielgruppe 40+ bleibt kaufstark.
möbel kultur: Sie arbeiten also eher mit Online-Anbietern zusammen?
Anne Dirfard: Das kommt darauf an. Westwing ist, was Blogger- und Influencer-Kooperationen betrifft, beispielsweise sehr aktiv. Bei anderen Firmen scheitert es häufig am Budget, das für diesen Werbekanal eingeplant ist. Da fehlt auch das Bewusstsein für den Mehrwert, der für das Unternehmen daraus entsteht. Die Onliner bekommen dadurch Bilder, die sie im Zweifel nutzen können. Ich finde solche Fotos, die aus Kooperationen entstehen immer tausend Mal schöner als gewöhnliche Stockbilder. Schlau wäre es, wenn die Online-Shops die Bildrechte der Fotos aus Kooperationen einkaufen würden, denn diese sind häufig authentischer. Ikea ist ein gutes Beispiel, deshalb ist auch der Katalog so erfolgreich. Dort werden Möbel mit Vintage-Accessoires kombiniert, die Ikea gar nicht im Sortiment führt. Das machen andere Anbieter kaum und die ganzen gestellten Fotos aus dem Studio will doch keiner mehr sehen.
möbel kultur: Unsere Leser sind überwiegend Mittelständler – sowohl aus dem Handel als auch aus der Industrie. Stellen Sie sich vor, ein ostwestfälisches Unternehemen wie z.B. Thielemeyer, das schöne Massivholzmöbel produziert, aber mit der Blogosphere kaum Berührungspunkte hat, möchte mit Ihnen zusammenarbeiten. Wie läuft das ab und wie hoch sind die Kosten, die auf den Hersteller zukommen?
Anne Dirfard: Es gibt Eckdaten, mit denen auch Influencer-Agenturen arbeiten. Pro 10.000 Follower kann man 100 Euro für ein Instagram-Bild rechnen. Ich bin davon allerdings weggerückt, denn bei einer Kooperation kommen viele Komponenten zusammen. Was ist es für ein Produkt? Bekomme ich eine Vase, die ich schnell in Szene gesetzt habe oder ist es eine Wandfarbe, sodass ich extra renovieren muss? Und was ist das Produkt wert? Wenn ich einen Massivholztisch bekomme, der zwischen 1.000 und 2.000 Euro kostet, wird es schwierig, weil ich das Produkt sowie mein Honorar mit jeweils 30 Prozent versteuern muss. Wenn ich ein Produkt im Wert von 1.000 Euro bekomme und die Vergütung ebenfalls bei 1.000 Euro, dann muss ich 660 Euro an Steuern einkalkulieren und es bleiben nur noch 340 Euro übrig. Dann ist die Frage, was wünscht sich der Kunde? Wie viele Bilder, Texte? Wie viele Tage bin ich damit beschäftigt? Das ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Wenn ich gerade keinen Tisch brauche und deswegen den kompletten Tagessatz berechne, die Steuer ausgeglichen und den Tisch haben möchte, könnte ich mir vorstellen, dass so eine Kooperation für einen Mittelständler wenig Sinn ergibt. Für kleinere Unternehmen lohnt es sich, die Augen offen zu halten, wenn jemand – wie ich jetzt – umzieht oder ein Haus baut und ohnehin in sein Zuhause investiert, denn dann kann man sich vielleicht auf einen Deal einigen, mit dem beide Seiten zufrieden sind.
möbel kultur: Trotzdem müssen die Produkte ja zum Blogger und zur jeweiligen Zielgruppe passen.
Anne Dirfard: Auf jeden Fall! Jede Firma, egal, wie groß oder klein, sollte sich, bevor eine Kooperation angefragt wird, die Zeit nehmen, um zu schauen, welche Blogger gibt es in meinem Bereich und wer passt zu mir. So lassen sich auf Streuverluste minimieren und beide Seiten sind am Ende mit der Kooperation zufrieden.
möbel kultur: Gibt es weitere Punkte, die bei so einer Kooperation beachtet werden müssen?
Anne Dirfard: Das Ganze muss auch bis zum Endverbraucher gedacht sein. Wenn es ein mittelständisches Unternehmen aus Hamburg ist und jemand aus München bestellt einen Tisch aus Marmor müssen sowohl die Lieferfähigkeit als auch die Logistik sichergestellt sein und das Produkt muss online erhältlich sein. In so einem Fall lohnt vielleicht auch der Blick in die nähere Umgebung, denn einige Influencer haben sich auf einen regionalen Raum festgelegt.
SARAH SCHÄDLER, SASCHA TAPKEN